Shogi TV wird 50 !
SHOGI BEWEIST ES: SCHACH IST DOCH TV-TAUGLICH!
50 años de ajedrez en televisión(chessbase.com)
Dr. Gralla's interview with Hiromi Kazama, Executive Producer for Shogi-TV at Japan's NHK (Takodori)
Die Moderatorin trägt ein kesses Minikleid, sie ist frisch und schlagfertig. Auch das Publikum im Studio hat sich perfekt gestylt und ist bestens gelaunt, na gut, einer der geladenen Experten hat sich vielleicht für einen etwas zu großzügig geschnittenen Blazer entschieden, aber geschenkt, die Leute, die bei Thomas Gottschalk auflaufen, tragen auch keine Konfektion von der Stange, vom Gastgeber ganz zu schweigen. Der guten Stimmung tut das selbstverständlich keinen Abbruch, weder bei der einen noch der anderen Veranstaltung.
Im Gegenteil, auch ohne den ewigen Blondlocken-Tommy wird hier viel gelacht, während der Megasakkomann, mit einem Zeigestock bewaffnet, gerade eine Schautafel erläutert. Klack, hämmert er auf das Demobrett, und zack, sehen wir einen eingespielten Clip, animierte Diagramme und die geschockten Gesichter von Betroffenen. Lichtblitze und spitze Schreie, aber allzu schlimm scheint das trotzdem nicht zu sein, im Studio wird wieder heftig gewiehert. Offenbar geht es um "Pleiten, Pech und Pannen", bloß dass ausnahmsweise mal keine selbst ernannten Freizeitkomiker in Swimmingpools oder Blumenrabatten stolpern. Vielmehr dreht sich in dieser Sendung alles um ein Spiel, das ziemlich ausgefallen ist, die Steine tragen Schriftzeichen, das sieht exotisch aus und hat außerdem einige Tücken. Denn immer wieder patzt einer der Kandidaten, setzt einen seiner Chips in eine verbotene Zone, sofort wetterleuchtet ein Flash, und fiese scheppert ein Tempelgong. Besonders häufiger Fehler: Weil die 9x9 Felder des Japanschachs nicht schwarz-weiß kariert, sondern einfarbig koloriert sind, vertun sich selbst anerkannte Hanshi (japanisch: "Vorbild für andere", entspricht ungefähr einem GM) und hoch verehrte Meijin (jap.: "vollendeter Mensch", der Ehrentitel eines Supergroßmeisters), falls sie der Streckenführung einer Diagonalen folgen sollen, und lassen ihre Läufer auf ein falsches Zielfeld stürmen.
"Shogi Foul Collection", so heißt diese verrückte Sendung, die ein japanischer Privatsender ausstrahlt, spektakuläre Dämlichkeiten am laufenden Band, allerdings erschließen sich die Flops bestenfalls ausgewiesenen Experten auf den ersten Blick. Besagtes "Shogi" ist nämlich nichts anderes als eine Art von Schach, die im fernöstlichen Kaiserreich über Jahrhunderte entwickelt worden ist und noch etliche Härtegrade zulegt gegenüber der Version, die außerhalb Japans üblich ist und dort von vielen Menschen bereits als äußerst schwierig empfunden wird. Für den Durchschnittskonsumenten deutscher Fernsehunterhaltung ist es ja schon eine echte Herausforderung, versimpelte Kreuzworträtsel in Call-in-Shows zu lösen - abgesehen vom praktischen Problem, mit seinem Anruf überhaupt durchzukommen - , eine ausgeflippte Unterhaltungsshow rund um Schach und dessen Tücken ist in der aktuellen Medienlandschaft zwischen Berlin und München daher realistisch bisher nicht denkbar.
Anders Japan, am 9. Juli 2010 jährt es sich nun bereits zum 50. Mal, dass im Kaiserreich die erste Shogi-Sendung vom TV-Giganten NHK ausgestrahlt worden ist. Die historische Premiere war am 9. Juli 1960, und das, obwohl Shogi total tricky ist. Das Mattspiel Marke Nippon wird zwar auch zwischen Weiß (jap.: Gote) und Schwarz (jap.: Sente) ausgetragen, die Steine sind aber trotzdem unifarben, und allein deren Lage auf dem Brett verrät, welcher Partei sie angehören. Damit nicht genug: Eroberte Einheiten wechseln die Fahne und können von der Seite, die sie einkassiert hat, wieder eingesetzt werden. So dass die Duellanten ständig das Eingreifen aller Shogi-Truppen einkalkulieren müssen, direkt an der Front im aktuellen Partieverlauf oder aus der rückwärtigen Reserve, die jenseits der Grenzen des umkämpften Areals auf den Befehl wartet, direkt ins Gefecht einzufliegen.
Foto: TBS >>Der Clip zeigt den Pop-Star TAKESHI TSURUNO, der ebenfalls ein Shogi-Fan ist, beim Spiel im Rahmen einer TV-Show, die Tokyo Broadcasting System (TBS) eigens für ihn produziert hat, nachdem sich der Schwarm aller Mädels als Shogi-Fan geoutet hat.<<
Sind also die Asiaten, die sich vor der Glotze sogar über hoch intellektuelle Flops in ihrem reichlich abgehobenen Shogi amüsieren, cleverer als der Rest der Welt? Hiromi Kazama (60), Shogi-Beauftragter beim öffentlich-rechtlichen Sender NHK, der 47 Millionen Haushalte erreicht und Deutschlands ARD vergleichbar ist, weicht im Interview einer klaren Antwort aus. Stattdessen verweist der Chef einer eigenen Redaktion, die Turnierberichte, Trainingssendungen und sogar TV-Wettkämpfe produziert, auf die historische Entwicklung in Japan, während der das Nipponschach eben traditionell eine wichtige Rolle gespielt habe als Entspannung und Gehirnjogging in der Freizeit, und zwar quer durch alle Bevölkerungsschichten.
Das ging so weit, dass der Shogun Tokugawa Ieyasu felsenfest überzeugt war, nur seine regelmäßigen Mattübungen am Brett hätten ihn befähigt, mit überlegener Strategie alle Feinde auszuschalten und das Land zu einigen. Daher etablierte Tokugawa Ieyasu ab 1612 ein System, die Besten im Shogi staatlich zu fördern, und diese Politik hat sich bis in die Gegenwart fortgesetzt. Momentan sei das heimische Schach zwar unter gewissen Druck geraten, wegen der Konkurrenz der Computergames, räumt Hiromi Kazama ein, aber aktuell zeichne sich erneut eine Trendwende ab: "Vor allem unter Kindern nimmt die Popularität des Shogi zu." Das habe er gerade an den begeisterten Zuschauerreaktionen auf eines der NHK-Formate gemerkt, in dem jüngst die Grundregeln des strategischen Spiels erläutert wurden.
Foto: NHK >> Topspielerin Rieko Yauchi und 7.Dan-Träger Mamoru Hatakeyama erklären Japanschach im öffentlich-rechtlichen Sender NHK<<
Inzwischen zieht die private Konkurrenz nach und startet ihre eigenen Shogi-Programme. Fuji TV hat den populären Manga "Hachi-One Diver" auf den Bildschirm gebracht. Held der elfteiligen Serie ist Sugata Kentaro, der Shogi-Profi werden möchte, aber in der letzten Prüfung scheitert. Er wird "Shinkenshi", ein Schachzocker um Geld, bis er ein geheimnisvolles Mädchen trifft. Das Girlie macht ihn fertig, nach allen Regeln der Kunst, und diese demütigende Niederlage stachelt seinen Ehrgeiz wieder an.
Tokyo Broadcasting System (TBS) stellte mehrere Folgen seiner Promi-Quizshow "San'ma no Karakuri TV" unter das Motto Japanschach. Nachdem sich Takeshi Tsuruno, Mitglied einer Boygroup und Schauspieler, in einem Interview als Shogi-Fan geoutet hatte. Und Spitzenspielerinnen oder männliche Topprofis werden in schwungvoll produzierten und mit fetziger (Japan-)Popmusik unterlegten Personality-Features gefeiert.
Man stelle sich im Gegenzug vor, RTL2 oder ProSieben würden Starportraits von Elli Pähtz oder Dr. Robert Hübner ausstrahlen. Eine absurde Idee, während das Japanschach in Fernost wie selbstverständlich Fernsehen macht. Einige tausend Flugmeilen weiter westlich - und nach dem eigenen Kulturverständnis um Lichtjahre entfernt - hatte dagegen 2005 der Kölner WDR nach 22 Jahren die Sendung "Schach der Großmeister" kurzerhand sang- und klanglos eingestellt. (Red.: Starportrait einer jungen Shogi-Topspielerin)
Eine Entscheidung, die Hiromi Kazama von Japans Marktführer NHK überhaupt nicht nachvollziehen kann: "Wir als öffentlich-rechtlicher Sender fühlen uns der Aufgabe verpflichtet, Kunst und Kultur zu fördern. Und unsere Shogi-Programme haben daran einen ganz wesentlichen Anteil."
Glückliches Japan ...
Japans-Shogi-TV-Macher Hiromi Kazama (NHK) im Interview