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SHOGI shogi kanji

Japanisches Schach

An der Zeit, sich zu verbeugen ...

honma 6 dan

Honma Hiroshi 6.Dan, mit René Gralla

Von René Gralla

Ein weitläufiger Park, ein stiller Teich zwischen leise raschelnden Bäumen. Ein roter Torbogen wie eine Schleuse durch Raum und Zeit, in ein geheimnisvolles fernes Land.

Der Blick von der Terrasse der Residenz, wo Japans Generalkonsul Shin Maruo ausgewählte Besucher in Düsseldorf empfängt, lässt die Gedanken viele tausend Kilometer Richtung aufgehender Sonne reisen, zum Inselreich der Shintoschreine und Glaspaläste. Ein stimmungsvoller Rahmen für einen neuen hoch verehrten Gast, Hiroshi Honma Sensei, übersetzt: "Meister", seines Zeichens Kulturbotschafter Japans.

Kulturbotschafter, das deutet auf einen Mann der schönen Künste hin, entsprechend feinsinnig wirkt der Sondergesandte des Tenno. Wenn der 49-jährige nicht soeben seine Visitenkarte überreicht hätte, die ihn weder als Dichter, Maler, Theater- oder Filmschaffenden ausweist. Sondern als leidenschaftlichen Spieler, genauer: als Profi im Shogi.

Shogi ist eine eigenständige Schachvariante, die sich in Japan entwickelt hat und ein ähnlich hohes Ansehen genießt wie die Teezeremonie und die Blumensteckkunst Ikebana. Kultregissseur Takeshi Kitano, dessen international bekanntes Markenzeichen düstere Yakuza-Balladen sind ("Violent Cop", "Brother"), Baseballstar Kei Igawa, der für die "New York Yankees" punktet, und die Girl-Punkband "Shonen Knife" outen sich gerne als Shogifans. Und "Gekka No Kishi", ein Manga zum Spiel, begeistert die Kids der Handygeneration.

Sein "großes Anliegen" sei es, "die Deutschen mit dem traditionellen Japan ebenso vertraut zu machen wie mit seinen modernen Facetten", sagt Generalkonsul Shin Maruo in seiner Begrüßungsansprache. Deswegen hat er heute Hiroshi Honma eingeladen; der Shogi-Diplomat hält sich zehn Monate lang in Europa auf, um für den Denksport Marke Nippon zu werben.

Anlass war die im Drei-Jahres-Rhythmus veranstaltete Amateur-WM, die wenige Tage vor der Dresdner Olympiade 2008 im Standardschach in Tendo nördlich von Tokio auf dem internationalen Turnierkalender stand. Zweierteams aus 21 Nationen flogen ein zum "International Shogi Festival 2008" vom 7. bis 10. November, die Farben der Bundesrepublik wurden vertreten von den beiden Münchnern Jochen Drechsler (Dan-Gruppe) und Andreas Pietz (Kyu-Klasse), die allerdings in den Kampf um die vorderen Plätze nicht eingreifen konnten. Immerhin wurde Deutschlands Dan-Vertreter Drechsler die Ehre zuteil, in einem Show-Match ein gemischtes Doppel zu bestreiten mit seiner Partnerin Frau Rieko Yauchi gegen Frau Ichiyo Shimizu und den Franzosen Pottier.

Shogi ist die wohl anspruchsvollste Version der Mattkunst. Schließlich verzichtet das Samuraischach radikal auf Figuren, statt dessen werden unifarbene und vorne zugespitzte Plättchen, die Schriftzeichen tragen, über die 81 Felder des einheitlich kolorierten Brettes geschoben. Allein die jeweiligen Positionen der Minipentagramme signalisieren, welcher Partei sie angehören. Überdies werden geschlagene Steine nicht aus dem Partiegeschehen entfernt, sondern greifen als Reserven auf der gegnerischen Seite wieder in den Kampf ein.

Wie schätzt Hiroshi Honma den momentanen Leistungsstand der Nichtjapaner ein, nach seiner Tour durch den Alten Kontinent mit vorherigen Stopps in Paris und London? Er habe "den Eindruck", formuliert der Experte asiatisch zurückhaltend im ND-Gespräch, dass die Europäer anfangs Probleme damit hätten, sich an das spartanische Design des Shogi zu gewöhnen. Wer aber Vorkenntnisse aus dem westlichen Mainstreamschach mitbringe, der könne sich schnell in das Szenario des Shogi einfinden.

Das Rating im Shogi orientiert sich ein wenig am Judo, die Skala beginnt beim 20.Kyu der Amateure und gipfelt im 9. Dan der Profis. Hiroshi Honma trägt den 6. Dan und führt als Berufsspieler ein privilegiertes Leben, von dem Schachanhänger außerhalb der Grenzen Japans bloß träumen können. Seit der Edo-Zeit vor 400 Jahren fördert der Staat die Stars am Brett. Aktuell sind das rund 130 Profis, Spitzenfrauen und -männer, die vom Shogiverband ein festes Salär beziehen, abgesehen davon, dass bei Wettbewerben obendrein Preisfonds von über 350.000 Euro winken.


Das sind Zahlen, die in Zeiten allgemeiner Finanzkrise die Phantasie anregen. Und folglich lässt sich keiner der Anwesenden im Düsseldorfer Generalkonsulat, ein handverlesener Kreis aus Japanern und Deutschen, lange bitten, als Hiroshi Honma zu einer Simultanvorstellung bittet. Mit sanften Klacks setzt der Sensei die Steine, wechselnde Positionen verwandeln sich in kalligraphische Installationen. Die kryptisch verschlüsselt und trotzdem am Ende einsichtig selbst für unwissende Gaijin, uns schrift- und sprachunkundige Nichtjapaner, einen höflichen, aber unabweisbaren Imperativ formulieren: Es ist an der Zeit, sich zu verbeugen - und aufzugeben.


Das traf selbstverständlich auch auf den Autor zu. Aber immerhin: Der rituelle Diener als Domo arigato, japanisch: "Dankeschön", für eine formvollendete Abreibung verleiht selbst der fiesesten Klatsche eine gewisse Größe.

Der Artikel ist veröffentlicht worden in der Tageszeitung "Neues Deutschland":
Nachdruck mit freundlicher Genehmigung