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SHOGI shogi kanji

Japanisches Schach

"Generation Manga" bei der EM

Auf der Shogi-EM 2011 in Ludwigshafen begeistert der 16-jährige Schüler Dominick Pickhan mit seinem neuen Pokémon-Shogi:
GENERATION MANGA PROBT DIE KULTURREVOLUTION IN JAPANS STRATEGIEKLASSIKER

Interview: René Gralla, Hamburg

Per Teleportation viele tausend Meilen Richtung Fernost gebeamt, so fühlt sich der Besucher am dritten Juliwochenende in Ludwigshafen nach Passieren der Eingangsschleuse zur Katholischen Akademie Rhein-Neckar, dem "Heinrich-Pesch-Haus", einem weißen Terrassenbau umgeben von weitläufigem Grün. Denn hier werden die Europameisterschaft 2011 und ein paralleles Weltturnier (WOSC) im japanischen Strategiespiel Shogi ausgetragen, und das wird sogar im fernen Tokio registriert.

Turniersaal

++ Turniersaal (Foto: Misako Iijima-Roevekamp) ++

Und zum Anlass genommen, eine hochkarätige Delegation - an der Spitze der 54-jährige 6-Dan-Profi Hiroharu Seto als offizieller Vertreter von Nihon Shogi Renmei - in die Chemiestadt am Rhein zu entsenden.

Seto

++ Der Meister und seine Schülerin: Shogi-Profi Hiroharu Seto, 6. Dan, und eine zukünftige Meisterin (Foto: Misako Iijima-Roevekamp) ++

Das Doppelturnier ist mit gut 100 Teilnehmern aus 15 Nationen die größte Shogi-Veranstaltung dieser Art seit vielen Jahren in Europa.

Ishikawa

++ Shogi hat Charme und Flair: Mai Ishikawa, 18. Kyu, aus Japan, die im Shogi World Open 2011 (WOSC) antritt (Foto: Misako Iijima-Roevekamp) ++

Das hat sogar die japanischen Medien aufhorchen lassen: Eigens aus Berlin reist an der Deutschlandchef von YOMIURI SHIMBUN, Herr Norihide Miyoshi, dessen Zeitung mit einer Tagesauflage von rund 12 Millionen und rund 26 Millionen Lesern das wichtigste Massenblatt auf dem Planeten ist.

++ Shogi ist ein Thema für Japans Massenmedien: Norihide Miyoshi, Deutschland-Korrespondent von YOMIURI SHIMBUN, der auflagenstärksten Tageszeitung der Welt, berichtet persönlich von der Shogi-EM 2011 aus Ludwigshafen (Foto: Misako Iijima-Roevekamp). ++

Ihm will die Konkurrenz nicht nachstehen, auch Herr Masahito Yuge, Reporter von TOKYO SHIMBUN und CHUNICHI SHIMBUN, eilt in die Rheinpfalz, und die Präsenz der beiden Starjournalisten hier beim Shogi-Turnier ...

++ Onlinebericht (in japanischer Sprache) bei TOKYO SHIMBUN / CHUNICHI SHIMBUN: www.chunichi.co.jp/article/world/worldtown/CK2011072702000196.html

... ist ausgerechnet an diesem Wochenende besonders bemerkenswert, weil quasi zeitgleich Japans Fußballerinnen ihren - am Ende glorreichen - Showdown um den Welttitel 2011 im Frauenfußball bestreiten.

Das internationale Shogi-Open WOSC 2011 wird erwartungsgemäß von den Japanern dominiert, sie machen die Medaillenplätze untereinander aus, souveräne Nr. 1 wird der in Hongkong lebende Makoto Kawato, 5. Dan. Den EM-Titel im Japanschach holt nun zum dritten Mal der Franzose Jean Fortin, 2. Dan; dem 25-jährigen Pariser muss sich im Finale der Deutsche Rekordmeister Boris Mirnik (44), immerhin Träger des 3. Dan, geschlagen geben.

Während großes Shogi-Kino in der zentralen Aula des Akademiegebäudes läuft, probt im wenige Schritte entfernten Konferenzraum der respektlose Nachwuchs dieser Republik eine bunte Kulturrevolution.

Kids

++ Shogi begeistert auch die Kids: Junge Talente in Ludwigshafen 2011 (Foto: Misako Iijima-Roevekamp). ++

Der 16-jährige Schüler Dominick Pickhan präsentiert ein selbst kreiertes Shogi-Set, das die Optik des klassisch japanischen Denksports radikal verändert. Statt asketisch karger Holzplättchen, die rätselhafte Kanji tragen, keilt sich ein poppiger Pokémon-Haufen auf den 81-Shogi-Feldern.

++ Pikachu peppt Shogi auf - ein neues Konzept, das Shogi im Pokémon-Design präsentiert (Foto: Misako Iijima-Roevekamp). ++

Das wiederum gefällt der Generation Manga, und begeisterte Youngster belagern fast rund um die Uhr den Erfinder und sein Werk. Dominick Pickhan hat sich, wie er im Interview erzählt, dabei inspirieren lassen vom Hamburger Autor (und Verfasser dieser Zeilen) René Gralla, der zuvor bereits auf Turnieren in Ludwigshafen mehrfach ein eigenes Figuren-Shogi vorgeführt hat.

++ Shogi für kleine und große Jungs - aus bunten Playmobil- und Lego-Männchen (Foto: Dennis Schneider). ++

Grallas Prototyp, der auch schon während einer MTV-Sendung über Shogi zu sehen gewesen ist – www.youtube.com/watch?v=o9eZ373GS1g - und während der EM neben dem neuen Pokémon-Shogi von Dominick Pickhan zum Mitmachen einlÄdt, basiert auf Playmobil- und Lego-Männchen und wird vom Erfinder „SEKIGAHARA-Shogi“ genannt. Hintergrund: Die Schlacht von SEKIGAHARA am 21. Oktober 1600 markiert einen Wendepunkt in der japanischen Geschichte: Der Warlord Ishida Mitsunari unterliegt dem Daimyo Tokugawa Ieyasu, und der Sieger begründet das Tokugawa-Shogunat.

Tokugawa

++ Unter dem Banner des Shogun: Die Fahne des schwarzen Königs im "SEKIGAHARA-Shogi", das der Hamburger Autor René Gralla gebastelt hat, trägt den Schriftzug "Tokugawa Ieyasu", des Siegers in der berühmten Schlacht von Sekigahara am 21. Oktober 1600 (Foto: Dennis Schneider). ++

Damit beginnt, nach der Sengoku-Zeit der Streitenden Reiche, die glanzvolle Edo-Epoche, in der auch eine wichtige Leitentscheidung für die künftige Entwicklung des Shogi fällt: Im Jahr 1612 führt der Shogun Tokugawa Ieyasu, der selber leidenschaftlich das Japanschach zockt, das professionelle Shogi ein, indem er bestimmt, dass die größten Meister am Brett fortan staatlich zu besolden seien.

Pickhan

++ Pokémon-Magier: Dominick Pickhan (16) aus Ludwigshafen und sein Pokémon-Shogi (Foto: Grigorij Kutuzov). ++

RENÉ GRALLA: Das ehrwürdige Shogi haben Sie in eine Versammlung putziger Pokémon-Charaktere verwandelt. Wie sind Sie darauf gekommen? 
D.PICKHAN: Diesen Einfall habe ich schon früher mal gehabt, und zwar in Bezug auf das hierzulande übliche Schach, und das habe ich entsprechend umgesetzt. Und als ich nun begonnen habe, Shogi zu spielen, habe ich irgendwann Ihr Playmobil-Shogi gesehen ...


++ Shogi einmal anders: Schlichte Kanji-Plättchen werden durch bunte Figuren ersetzt - im Konzept "SEKIGAHARA-Shogi" (Foto: Dennis Schneider). ++



D.PICKHAN: ... und das hat mich auf die Idee gebracht, als Alternative mein Pokémon-Konzept für Schach auf Shogi zu übertragen.


R.GRALLA: Der Bastler - von Kollege zu Kollege - fühlt sich natürlich geehrt! Wird aber auf diese Weise womöglich das Original verfälscht? Das können Puristen sowohl Ihrem Pokémon-Shogi als auch dem Playmobil-Shogi vorwerfen.
D.PICKHAN: Das kommt auf die Sichtweise an. Pokémon-Shogi ist vor allem ein neues Angebot, das Spiel zu lernen. Gerade Kinder, die mit Pokémon aufgewachsen sind, mögen das. Zum Beispiel wird auf der weißen Seite der Shogi-Goldgeneral verkörpert von einem großen Elevoltek aus der Pokémon-Reihe, den identifizieren die Kinder sofort, weil der praktischerweise die goldene Farbe hat, und den Kindern wird seine herausgehobene Position sofort klar, oft entscheidet nämlich gerade ein Goldgeneral über den Ausgang eines Matches. Mühelos lernen die Jugendlichen, wie der besagte Pokémon zieht, und können das anschließend leicht auf den korrespondierenden Stein im Shogi übertragen.


R.GRALLA: Ein interessanter pädagogischer Ansatz. Zumal das spartanische Design des traditionellen Shogi die Phantasie kaum beflügelt. Obwohl neben den erwähnten Goldgenerälen zum Japanschach auch Samurai und Lanzen, Reiter und Drachen gehören – und das hört sich ja eigentlich super spannend an! - ...


++ Die Schwarze Armee formiert sich zum Angriff: ein Silbergeneral und zwei Goldgeneräle rücken vor aus der Deckung ihrer Samurai. Den König der Weißen - im Brokatumhang und begleitet von einem Bannerträger in leuchtend-roter Uniform - können sie in der Ferne orten (Foto: Dennis Schneider). ++



R. GRALLA: ... ist ja die Enttäuschung für den Nichtfachmann groß, wird ihm zum ersten Mal das Shogi im klassischen Design vorgesetzt. Vom Standpunkt eines Laien ist das bloß ein Haufen Chips, die voll gekritzelt sind mit kryptischen Zeichen.


D.PICKHAN: Daher gebe ich zu, dass ich optisch das übliche Schach wirklich interessanter finde als Shogi. Im Schach kann man die verschiedenen Figuren gut voneinander unterscheiden: Die Dame ist die wichtigste Figur, und man sieht, dass sie die Macht hat – anders als Läufer oder Bauern - , weil sie die größte Figur ist. Im Shogi ist das leider viel weniger deutlich. Nehmen wir die schwächsten Einheiten, die Samurai, das sind zwar tatsächlich recht kleine Plättchen, aber trotzdem sind die Fünfecke, mit denen die ranghöheren Reiter und Lanzen dargestellt werden, kaum größer. Etwas fetter sind immerhin der König und der Drache, aber obwohl der König gegen einen Drachen, falls er dem Feuermonster alleine entgegen treten muss, kaum eine Chance hat, ist das Format der beiden Steine beinahe deckungsgleich. Und man kriegt nicht wirklich mit, dass ein Drache äußerst gefährlich ist.


R.GRALLA: In Ihrem Pokémon-Szenario dagegen gibt es kein Vertun. Warum bevölkern Pokémon-Gestalten nicht bloß den Spielplan, sondern warten zusätzlich außerhalb der Bande?
D.PICKHAN: Markenzeichen des Shogi ist ja eine Sonderregel: Steine, die ich der anderen Seite abnehme, unterstützen künftig meine Armee. Außerdem werden Figuren befördert, sobald sie ins feindliche Lager eindringen. Logisch, dass beide Parteien ungefähr die doppelte Zahl an Kämpfern benötigen, um sie einzutauschen gegen Gefangene oder Rangniedere, die befördert werden sollen. Und um diese frischen Kräfte hinterher unter eigenem Kommando zurück auf das Feld zu schicken. Insgesamt gehören rund 80 Figuren zum Pokémon-Set.


R.GRALLA: Drüben entdecken wir das unvermeidliche gelbe Kaninchen, das selbst Nichteingeweihte dem Pokémon-Kosmos zuordnen. Ist das ein König?
D.PICKHAN: Nein. Außerdem ist das natürlich kein Kaninchen, sondern das berühmte Pikachu. Es reiht sich ein bei den neun Samurai, die in etwa den Bauern im internationalen Schach entsprechen.


Yasmin

++ Wurde zum 13. Kyu befördert: Yasmin Genc aus Stuttgart (Foto: Misako Iijima-Roevekamp). ++



R.GRALLA: Links und rechts flankiert von einem robusten Elevoltek – das sind Goldgeneräle, das wissen wir nun – hockt eine Art Maus mit langem Schwanz.
D.PICKHAN: Die vermeintliche Maus ist Mew, und den kennt jeder Pokémonspieler. Mew gilt als Ur-Pokémon, er trägt in sich die Gene aller anderen Pokémon. In meinem Shogi übernimmt Mew den Part des weißen Königs.


R.GRALLA: Sie sind offenbar ein Pokémon-Experte.
D.PICKHAN: Ich beschäftige mich damit, seit ich sieben Jahre alt bin.


R.GRALLA: Pokémon sind moderne Fantasiewesen in einer Serie von Videospielen. Die Reihe ist eines der erfolgreichsten Produkte von Nintendo, wurde bisher über 200 Millionen Mal verkauft. Das beunruhigt manche Eltern und Pädagogen: Die behaupten, dass die Kinder von Pokémon verdummt und aggressiv gemacht werden.
D.PICKHAN: Jedes andere Computerspiel, angefangen mit "World of Warcraft", ist doch aggressiver als Pokémon. Bei Pokémon sieht man nur die Angriffe, aber nicht, wie die Wesen verletzt werden. Wenn ein Pokémon ein Duell verliert, verschwindet der Unterlegene einfach vom Schirm. Und kehrt später vielleicht nach virtueller „Heilung“ zurück.


++ Belegte Platz 3 im Jugendturnier U-10 der Shogi-EM 2011: Whiz Kid Leonard Orschiedt (9), 11. Kyu, aus Ludwigshafen (vorn sitzend); unter dem kritischen Blick des Viertplazierten Lazar Stankovic (9), 11. Kyu, aus Stuttgart (Foto: Misako Iijima-Roevekamp).



R.GRALLA: Abgesehen davon, dass Sie jetzt eine Pokémon-Version entworfen haben: Was fasziniert Sie am Shogi?
D.PICKHAN: Ich spiele auch das westliche Standardschach im SK Ludwigshafen, und Schach steht für mich nach wie vor an erster Stelle. Trotzdem lerne ich gerne dazu, und am Shogi fasziniert mich, dass manche taktische Muster aus dem Schach im Shogi ebenfalls funktionieren können.


R.GRALLA: Wie lange haben Sie an Ihrem Pokémon-Shogi gearbeitet?
D.PICKHAN: Ungefähr zwei bis drei Monate. Die meisten Figuren besaß ich vorher schon. Zu meiner Sammlung gehören um die 300 Stück, von den knapp 650 verschiedenen Typen, die aktuell auf dem Markt sind.


Gralla_Kawasaki

++ Shogi-Autor René Gralla (l.), der unter dem Namen "SEKIGAHARA-Shogi" eine Japanschach-Version mit Figuren in 3-D geschaffen hat, präsentiert sein Werk in Ludwigshafen dem Shogi-Filmemacher Tomohide Kawasaki (re.), in der Shogiszene ein Star unter dem Künstlernamen HIDETCHI (Foto: Tomohide Kawasaki). ++



R.GRALLA: Falls morgen Nintendo anruft und Sie als Berater für ein Projekt Pokémon-Shogi engagieren möchte …
D.PICKHAN: … wäre das natürlich schön, klar! Wobei es mir in erster Linie nicht um das Geld geht: Ich wünsche mir vor allem, dass meine Idee überhaupt umgesetzt wird.


Ergebnisse der Shogi EM 2011 und der WOSC 2011: http://shoginet.de/esc-wosc-2011.html;